Multiple Sklerose - Motorrad - Unfall (191)
Die junge Frau leidet seit einigen Jahren an Multiple Sklerose. Ganz besonders
eingeschränkt fühlt sie sich durch ihre starken Gleichgewichtsstörungen,
die sie daran hindern, alleine sicher zu stehen. Dies drückt sich auch
in ihrem Leben aus - sie kann nicht alleine im Leben stehen. In dieser Sitzung
wird eine Schocksituation aufgearbeitet, welche vermutlich mit ein Auslöser
für den Ausbruch der Krankheit war. Der tiefere Hintergrund ist aber das
Verhältnis zur Mutter, welche der Klientin nie Sicherheit und Geborgenheit
gegeben hat.
Es handelt sich hierbei um eine Übungs-Session innerhalb der Berufsausbildung.
Kommentare und Hinweise von Bernd Joschko in Klammern ()
Kl: Ich sehe rechts eine Tür. Es ist dunkel und unheimlich. Auf der Tür
steht „Unfälle”. - Die Klientin öffnet die Tür -
Alles ist dunkel, der Raum ist leer. Raum, ich fühle mich gar nicht wohl,
Du wirkst bedrohlich.
Th: Woher kennst du dieses Gefühl aus deinem Leben?
Kl: Von den beiden Unfällen.
Th: Welcher taucht jetzt auf?
Kl: Es war kein Unfall. Zwei Sekunden hatten gefehlt. Ich bin am Steuer im Auto
und fahre auf der rechten Seite in eine Kurve. Rechts sind nur wenige Leitplan-ken.
Ich bin in Jugoslawien. Links sind Berge. Meine Eltern sind mit in dem Auto.
Ein Motorrad kommt mir auf meiner Seite entgegen. Ich weiche nach links aus,
dann kommt noch ein Motorradfahrer. Ich weiche aus und fahre knapp am Abhang
vorbei.
Th: Was spürst du in deinem Körper?
Kl: Zittern und Erstarrung. Ich fahre rechts ran und versuche auszusteigen.
Das geht aber nicht, weil ich kaum stehen kann.
Th: Laß das Zittern da sein.
Kl: Mir ist eiskalt.
Th: Wo ist das Zittern am stärksten?
Kl: Im ganzen Körper. Die Motorradfahrer sind einfach weitergefahren.
Th: Hole die nochmal herbei.
Kl: Ja, sie sind da. - Therapeut fordert zur direkten Kommunikation auf. - Ihr
habt mir einen Schock versetzt. Nehmt mal den Helm ab, damit ich euch sehen
kann. - Der Therapeut unterstützt die Atmung.
(Die Klientin befindet sich in einer Schocksituation. Angriff oder Flucht muß
passieren. Es ist damals nicht passiert, sie sitzt im Auto und kann beides nicht
machen. Die Energie steckt fest und muß raus. Sie muß in die Handlungsimpulse,
sie muß körperlich was tun. Am besten mit dem Dhyando.)
Die Impulse sind sofort da, die Klientin schlägt mit dem Dhyando auf die
beiden Motorradfahrer und schreit sie an. Der Prozeß wird mit Musik unterstützt
und auch die ganze Gruppe unterstützt die Klientin dabei, in ihre Handlungsfähigkeit
zu gehen.
Th: Wie reagieren die beiden jetzt?
Kl: Sie sind erschreckt.
(Der Schreck drückt sich in den Bildern aus, sie fließen noch nicht,
da muß noch mehr raus.)
Die Klientin geht sofort wieder in die innere Handlung und der Prozeß
geht mit Un-terstützung der Gruppendynamik weiter.
Kl: Sie sagen, es reicht ihnen.
Th: Wieviel Jahre ist das her?
Kl: 14 Jahre. - Die Therapeutin bringt die Klientin erneut in die Handlung und
sie schlägt erneut auf sie. - Ich fühle mich jetzt erleichtert und
kann wieder durch-atmen. Das war die ganze Zeit im Körper und konnte nie
raus. Das war so lange im Körper, das konnte nie raus. Ich wußte
nie, wie ich damit umgehen sollte.
Th: Wie reagieren sie jetzt?
Kl: Sie sagen, daß es ihnen leid tut. Sie wußten nicht, was sie
verursacht haben. In mir ist aber viel passiert.
(Wichtig ist es noch, ihnen zu erzählen, welche Konsequenzen das hatte.)
Kl: Ich möchte mich gerne hinlegen und meine Füße sind auch
ganz kalt.
(Ich würde sie stehen lassen. Sie soll spüren wie unsicher sie noch
ist. Sie spürt es dann deutlicher. Laß sie soweit in der Konfrontation
wie es geht. Und die Motorradfahrer sollen dabei sein und das sehen. Jetzt spürt
sie, welche Einschrän-kung das war. Die Bilder sollen konfrontiert werden.)
Kl: Das hat dazu geführt, daß ich heute noch unsicher bin. Wenn ich
aussteige habe ich heute noch das Gefühl, ich fange an zu zittern.
(Zeige es ihnen jetzt wie unsicher du bist, die sollen sich das ansehen. Stampfe
mal auf.)
Kl: Nein, ich kann nicht auf einem Bein stehen.
Th: Sag es ihnen.
Kl: Ich kann nicht auf einem Bein stehen, weil ich dann Angst habe umzufallen.
Es fällt mir schwer, gerade zu stehen.
(Kannst Du das Bein etwas anheben und wieder etwas fester aufsetzen? - Klientin
versucht es und es funktioniert - Ja, mache das vor ihnen. Sie sollen sich das
ansehen. Die Energie muß konfrontiert werden.)
Kl: - sie stampft auf und beschimpft sie - Es wird kraftvoller. Es kostet viel
Kraft.
(Schau die Motorradfahrer an, sie sollen dir helfen, sie sollen dir ihre Energie
zurückgeben, damit du aufstampfen kannst.)
Die Klientin stampft immer kraftvoller auf und fordert ihre Energie zurück.
Die Gruppe und trommelnde Musik unterstützen sie.
Kl: Jetzt bin ich unsicherer als vorher. Ich habe so ein starkes Schwanken und
das Bedürfnis mich festzuhalten und das ist dadurch passiert, daß
ihr mir so einen Schrecken versetzt habt. Ich kann deshalb schlecht alleine
sein und nicht alleine im Leben stehen. Und das hat auch mit den Gleichgewichtsstörungen
zu tun, die ich immer noch habe.
Th: Was für ein Gefühl kommt hoch, wenn du das so wahrnimmst.
Kl: Ich bin außer Kontrolle.
(Wie reagieren die Bilder, die Personen? Daran könnt ihr immer ablesen,
was gerade passiert.)
Kl: Der eine sagt, das kann nicht sein, daß es dadurch ist. - Es ist aber
seit damals.
(Mache mal irgend einen Ton. Zeige ihnen mal, was das mit dir macht. So laut
wie es geht und schau sie an dabei.)
Klientin macht einen Ton. Trommeln wird eingespielt und die Gruppe unterstützt
sie wieder dabei ihre Gefühle auszudrücken.
Kl: Nein, ich will das nicht. - Sie wiederholt den Satz mehrmals und Löwen-gebrüll
wird eingespielt.
Th: Sieh die Motorradfahrer mal an. Und sage, ich will das nicht mehr.
Kl: Ich will das nicht mehr, daß ihr mir so einen Schock versetzt. Nein,
ich will das nicht.
Th: Sage was in dir hochkommt, spüre was da ist. - Die Klientin fängt
an zu weinen. - Was ist jetzt da?
(Wer steht jetzt vor Dir? Wer ist da?)
Kl.: Der Jürgen (ihr Ex-Freund). Er will sich von mir trennen, weil er
keine kranke Frau will. - Eine Person aus der Gruppe wiederholt den Satz, ich
will keine kranke Frau. Die Klientin erwiedert: Meine Liebe zu dir ist aber
noch da.
(Hole jetzt mal die Motorradfahrer dazu. Schau mal wo sie sich hinstellen. Auf
seine oder auf ihre Seite.)
Kl: Sie sind alle drei gegen mich.
Th: Wie fühlt sich das an?
Kl: Drei gegen einen. Ich fühle mich total hilflos.
Th: Spüre mal deine Hilflosigkeit.
Kl: Es fühlt sich besser an als vorher.
(Sie soll mal eine Person, die noch dazugehört, auftauchen lassen.)
Kl: Meine Mutter.
(Sie sieht es jetzt, das ist wichtig, da passiert viel.)
Kl: Ich hätte von dir Unterstützung ge-braucht. Ich habe von dir erwartet,
daß du mir hilfst und mir Mut machst. Ich finde es Scheiße, daß
du gegen Jürgen bist. Ich bin nicht deiner Überzeugung. Ich kann den
Jürgen verstehen, so etwas überlegt man sich auch dreimal.
Th: Hast du gemerkt, wie energisch deine Stimme war? Ich bin nicht deiner Überzeugung.
Bleibe mal dabei, spüre mal die Energie und stampfe mal auf.
Kl: - stampft auf, Trommeln wird eingespielt - Ich bin anderer Überzeugung.
Für mich ist es in Ordnung, du mit deiner blöden Lebenserfahrung.
Du kannst überhaupt nicht meine Gefühle verstehen.
Th: Kannst du dich jetzt gegen deine Mutter durchsetzen?
Kl: Ja, sie ist jetzt ganz kleinlaut. Was du machst, ist mir egal. Für
mich ist das jetzt völlig in Ordnung. Nie habe ich von dir Geborgenheit
und Unterstützung bekommen. - Eine Person aus der Gruppe „spielt”
die Mutter und provoziert die Klientin, aber sie kann sich durchsetzten und
es ist o. k. für sie. - Meine Mutter geht jetzt. - schöne Musik wird
eingespielt. - Ich kann jetzt alleine stehen. ... Wir stehen jetzt alle im Kreis,
alle sehen freundlich aus.
Th: Gehe noch mal in die Situation mit den Motorradfahrern.
Kl: - Autogeräusche werden einspielt. - Sie fahren auf der richtigen Seite
und ich kann ganz normal weiterfahren. Sie machen das Licht an.
Th: Laß auch mal den Jürgen da sein.
(Nimm ihn mal mit in die Situation. Er soll sehen, daß die beiden Motorradfahrer
ganz wesentlich dazu beigetragen haben, daß sie krank ist. Vielleicht
verändert sich dadurch etwas.)
Kl: Ich habe dir doch immer gesagt, daß ich früher normal laufen
konnte und ich habe dir immer gesagt, daß ich mich bemühe wieder
normal laufen zu können. - Jetzt siehst du ganz nett aus und ver-stehst
es. Ich habe die Motorradfahrer verprügelt. Und die Situation ist für
mich jetzt viel leichter geworden.
(Sie soll den Jürgen mitnehmen und sich das Anfangsbild ansehen.)
Kl: Da ist jetzt ein Fenster und die Wände sind weiß gestrichen.
Jürgen, sieh dir das mal an. Vorher war das alles ganz dunkel und jetzt
hat sich der Raum verändert.
Th: Zeige das auch mal den Motorrad-fahrern.
Kl: Ihr habt jetzt gar nicht mehr die dunkle Motorradkleidung an, sondern Jeans
und Pulli.
Th: Wie ist das für dich?
Kl: Viel besser. Das andere war so un-heimlich mit den dunklen Helmen und der
dunklen Kleidung. Sie sehen jetzt nett, ganz normal aus.
Th: Dann laß jetzt auch mal deine Mutter dazukommen.
Kl: Sie sieht erleichtert aus, weil sie spürt, daß es mir im Moment
gut geht.
Th: Was möchtest du jetzt tun?
Kl: Musik hören, erzählen, gemeinsam essen.
(Eine Idee wäre noch, frage mal, wer sich beteiligen will, den Raum wohnlicher
zu machen. Die können etwas abarbeiten, etwas tun.)
Kl: Die Motorradfahrer haben eben schon einen Tisch reingetragen. Meine Mutter
macht die Decke drüber und Jürgen holt die Teller und das Besteck.
(Eine Möglichkeit wäre noch zu fragen, wer von den Personen ist denn
noch mit verantwortlich, daß der Raum so kahl ist.)
Kl: Nur meine Mutter. Du hast doch vorhin mitbekommen, daß mir die Geborgenheit
gefehlt hat, jetzt kannst du dafür sorgen, daß es netter wird. -
Schöne Musik wird eingespielt. - Alle helfen. Sie bringen ein Sofa rein.
Meine Mutter bringt eine Vase. Jürgen hängt Bilder auf. Die Motorradfahrer
helfen Möbel tragen und der eine gibt mir einen großen Blumenstrauß.
Jetzt möchte ich das Essen auf den Tisch holen und essen.