Am Beispiel von "Heilenden Magnetfeldern"
MEDIZIN
Wann immer griechische Helden an Schwermut litten – Homer wusste Rat.
Um „Kummer zu scheuchen und jeglichen Leides Gedächtnis“, schrieb
der Dichter in seiner „Odyssee“, nehme man „Nepenthes“.
Vermutlich enthielt die von den Ärzten der Antike verabreichte Tinktur
Opium. Das erste überlieferte Antidepressivum war demnach ein bedenklicher
Suchstoff.
Heute steht ein Arsenal wirksamer Medikamente gegen Depression zur Verfügung,
die beispielsweise auch den Fußballer Sebastian Deisler kurierten. Mittlerweile
heilen Ärzte sogar per Knopfdruck: Bei der so genannten Transkraniellen
Magnetstimulation (TMS) fließen Ströme, diese wiederum erzeugen ein
pulsierendes Magnetfeld, das über eine Spule in das Gehirn der Patienten
eingestrahlt wird. In der Regel bessern sich dann die depressiven Symptome.
Neue Allzweckwaffe. Erst langsam verstehen die Mediziner die genauen Wirkungsprinzipien
dieser Therapie und entdecken dabei neue Anwendungen: Möglicherweise können
Magnetfelder auch gegen Sucht und Ohrgeräusche helfen.
Die TMS wurde erstmals 1985 von Neurologen eingesetzt, zunächst zu diagnostischen
Zwecken. Sie wollten herausfinden, wie motorische Hirnareale unsere Bewegungen
steuern.
Mittlerweile ist die TMS in der Behandlung schwerer Depressionen etabliert.
In Deutschland erkranken daran nach Daten des Münchner Max-Planck-Instituts
für Psychiatrie pro Jahr etwa 2,8 Millionen Männer und fünf Millionen
Frauen; bei einigen Hunderttausend wird das Leiden chronisch. „Etwa einem
Drittel dieser Patienten können wir mit der TMS gut helfen, einem weiteren
Drittel ein bisschen, während das restliche Drittel therapieresistent bleibt“,
erklärt Psychiater Göran Hajak von der Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie der Universität Regensburg.
Schwermütige werden mit Serien kurzer Impulse behandelt, die in Sekundenbruchteilen
aufeinander folgen. Das Magnetfeld induziert im Gehirn einen elektrischen Strom,
der die Nervenzellen in der gleichen Weise erregt, wie dies Nachbarzellen tun.
Je nach Frequenz des eingestrahlten Feldes lassen sich nur schwach aktive Neuronenkomplexe
zu höherer Aktivität anregen, übererregte Hirnareale aber dämpfen.
Hajak: „Manche Leiden gehen mit einer Minderfunktion bestimmter Hirnareale
einher, andere aber mit einer Überfunktion. Beide Fehlfunktionen lassen
sich gezielt beeinflussen.“
Bei Depressiven ist eine Hirnregion in der vorderen linken Großhirnrinde
vermindert aktiv. Gelingt es, dieses Areal auf ein höheres Erregungsniveau
zu bringen, bessert sich das Leiden. Die Magnetfelder setzen, wie die Forscher
vermuten, Neurotransmitter frei, insbesondere Serotonin und Noradrenalin. Ähnlich
wirken auch pharmazeutische Antidepressiva. Überdies könnte die TMS
die Ausschüttung von Nervenwachstumsfaktoren bewirken. „Es kommt
somit nicht nur zu einer kurzen Besserung während der Therapie, sondern
die Neuronen bauen sich um und bilden neue Verbindungen. All dies kann bei einer
Krankheit zur Normalisierung führen“, sagt Hajak.
Mittlerweile wurden weltweit über 5000 Patienten im Rahmen wissenschaftlicher
Studien therapiert. „Dabei zeigte sich eindeutig, dass die Behandlung
der Depression funktioniert“, bekräftigt der Psychiater. In Deutschland
verwenden rund 30 Zentren die TMS. Die Ärzte setzen sie bevorzugt bei Patienten
ein, die auf Medikamente nicht ansprechen. „Bei ihnen erreichen wir signifikante
Effekte“, erläutert Hajak. „Gut können wir auch Menschen
helfen, die spezifische Veränderungen im so genannten limbischen System
aufweisen, und solchen, die im Rahmen einer Wachtherapie auf Schlafentzug gut
reagieren.“ Bei dieser Gruppe verhindert die TM nach einer durchwachten
Nacht einen Rückfall in die Depression.1. DIE SPULE. Sie erzeugt ein Magnetfeld
von ein bis zwei Tesla Stärke. Die Felder werden im Abstand von Sekundenbruchteilen
in das Gehirn eingestrahlt. Eine Therapiesitzung dauert etwa 20 Minuten, behandelt
wird an 14 aufeinander folgenden Tagen.2. DIE ZIELREGION. Stimuliert werden
bei Depressiven Nervenareale im dorsolateralen präfrontalen Kortex, einem
Gebiet der linken Großhirnrinde. Die Felder dringen zwei bis vier Zentimeter
tief ein, durch die Vernetzung der Neuronen (Nervenzellen) werden aber auch
tiefere Regionen im limbischen System erreicht, das Gefühle verarbeitet.3.
DIE WIRKUNG. Diese Schnittbilder zeigen das Hirn eines Patienten, der an akustischen
Halluzinationen litt. In der Hörrinde ist eine Überaktivität
zu erkennen, die nach der Bestrahlung deutlich vermindert erscheint.
Eine moderne Depressionstherapie soll in Zukunft auch gegen Tinnitus und Sucht
helfen
Ein Wundermittel sind die pulsierenden Felder indes nicht: Komplette Heilungen
sind selten. Gleichwohl berichten die Ärzte von beeindruckenden Therapieresultaten.
So halte der Effekt bei einer Reihe von Patienten Wochen bis Monate an. Nebenwirkungen
seien kaum zu beobachten, allenfalls können während der Therapie leichte
Kopfschmerzen oder Muskelzuckungen im Gesicht auftreten.
Derzeit
arbeiten die TMS-Experten an der Optimierung der Verfahrens. „Wir tasten
uns immer noch an die für den jeweiligen Zweck optimalen Pulsfrequenzen
heran“, erläutert Psychiater Hajak. Zugleich eröffnen sich weitere
Anwendungsgebiete. So stellten die Forscher eine positive Wirkung bei Patienten
mit Ohrgeräuschen (Tinnitus) fest. Deren Großhirnrinde ist im Bereich
der Hörzentren extrem überaktiv. Ein bildgebendes Verfahren zeigt
den Ärzten den Sitz de betroffenen Areals an und erlaubt so, das Magnetfeld
darauf zu fokussieren. Bei vielen Patienten wird das Ohrgeräusch daraufhin
deutlich schwächer, manchmal verschwindet es völlig.
Ein anderes potenzielles Einsatzfeld der TMS ist die Suchttherapie. Das durch
die Magnetfelder beeinflusste Dopamin ist Teil des „Belohnungssystems“
im Gehirn, das Glücksgefühle vermittelt, aber auch bei Suchterkrankungen
eine Rolle spielt. „Könnten wir da eingreifen, würde dies eine
Tür öffnen zu allen Bereichen von Sucht und Abhängigkeit“,
weiß Hajak. „Rauchen steht dabei ganz vorn, aber auch das Verlangen
nach illegalen Drogen ließe sich angehen.“
Nikotinersatz. Die Felder regen die auf den Neuronen sitzenden Dopamin-Rezeptoren
in ähnlicher Weise an wie das Tabaksuchtgift Nikotin. Erste Studien, die
der Regensburger Arzt mit Mitgliedern seiner Arbeitsgruppe durchführte,
verliefen ermutigend. Jeweils eine 15-minütige TMS-Sitzung am Morgen genügte,
um die Gier nach dem Dunst drastisch zu reduzieren. „Die meisten“,
so Hajak, „rauchten bis zu zwei Drittel weniger, und einige schafften
es sogar, ganz aufzuhören.“
Selbstheilung wäre, wenn der Klient in sich die Hintergründe verändert, sodass die Symptome von selbst verschwinden. Alles andere ist nur Symptombekämpfung bzw. Unterdrückung: Der Bote wird für die Botschaft bestraft - dumm, nicht?
Beispiele unter: gesundheitsforschung.info