MEDIZIN
Wie die den Kšrper heilt
Wissenschaftler erforschen,
wie Meditation, Anti-Stress-Kurse und Bewegung unsere SelbstheilungskrŠfte
gegen chronische Krankheiten aktivieren.
Ein aggressiver gro§er Tumor
hatte Brust und Lymphknoten befallen. Die Heilungschancen seien denkbar
schlecht, sagten die €rzte der 35-jŠhrigen Annette Rexrodt von Fircks. Sie
solle sich trotz Operation, Chemotherapie und Bestrahlung auf einen Abschied
vorbereiten.
ãEntscheiden Sie sich fŸr
das LebenÒ, dieser Rat einer Psychologin rŸttelte vor fŸnf Jahren die
verzweifelte Mutter von drei Kindern wach. Die temperamentvolle DŸsseldorferin
krempelte ihr Leben všllig um: ãIch meditiere, stelle mir positive Bilder vor,
entspanne durch AtemŸbungen, mache Sport, habe meine Ziele im Leben neu
geordnet und gehe sehr achtsam mit mir um.Ò ãEigentlichÒ, so erzŠhlt sie
lachend, ãhabe ich mich von Grund auf positiv programmiert.Ò
Die Deutschen wissen, dass
der Lebensstil das Krankheitsrisiko mitbestimmt.
Aussagen zum
Gesundheitsbewusstsein der Deutschen in Prozent
Die Deutschen achten mehr
auf ihre Gesundheit als vor fŸnf Jahren.* 63%
Der Lebensstil beeinflusst
die Gesundheit. ** 88%
Schulmedizin und
Naturheilkunde kšnnen sich ergŠnzen. ** 81%
Sympathie der Deutschen fŸr
alternative Heilverfahren:**
-
Naturheilkunde 83
%
-
Akupunktur 64
%
-
autogenes Training 58
%
-
Yoga 55
%
-
ganzheitliche Medizin 53 %
-
Meditation 49
%
1987
bewerteten nur 33 Prozent die Entspannungstechnik positiv, heute sind es 49
* Emnid
Umfrage 2003 im Auftrag von Gong (1000 Befragte)
** Allensbachumfrage 2001 (2111 Befragte)
Die selbst gestrickte
Eigentherapie, glaubt Rexrodt von Fircks, habe sie Hand in Hand mit der
modernen Medizin bislang Ÿberleben lassen. Zwei BŸcher schrieb sie Ÿber ihr
Schicksal und die Macht der Gedanken. In VortrŠgen, TV-Shows und als Beraterin
bei Krankenkassen und Krebsorganisationen macht sie anderen Patienten Mut.
Hatte die Ÿberzeugte
Heilsbotschafterin nur GlŸck, ist ihr Fall eine Art Wunder, oder kann die
Psyche Kranke tatsŠchlich gesund machen?
Heilkraft der Seele. In einem deutschlandweit einzigartigen
Modellversuch erforschen €rzte der Abteilung fŸr Naturheilkunde und Integrative
Medizin im Knappschaftskrankenhaus der Kliniken Essen-Mitte eine neue
Therapieeinrichtung: Die so genannte Mind-Body-Medizin, was sich am besten mit
Leib-Seele-Medizin Ÿbersetzen lŠsst. Hier trainieren Kranke, ihr Wohlbefinden
auch selbst in die Hand zu nehmen, ein Komplettprogramm bei chronischen DarmentzŸndungen
und Krebs. Dem Land Nordhein-Westfalen war das innovative Projekt vor fŸnf
Jahren elf Millionen Mark wert, initiiert vom damaligen Landesvater Johannes
Rau. 54 Betten und eine Tagesklinik stehen Chefarzt Gustav Dobos zur VerfŸgung.
ãUnsere Patienten leiden im Schnitt bereits sieben bis zehn Jahre an ihrer
KrankheitÒ, erklŠrt der Professor fŸr Innere Medizin, ãund haben bereits vieles
ausprobiert.Ò
Die Mind-Body-Medizin
schšpft aus einem gro§en Reservoir therapeutischer Zusatzma§nahmen: Anleitung
fŸr eine gesunde ErnŠhrung mit Kochkurs, spezielle DiŠtplŠne, Sport,
BewegungsŸbungen, Anti-Stress-Kurse, Massagen, Meditation und GruppengesprŠchen
werden wie ein Baukastensystem zusammengestellt. Kombiniert werden diese
Interventionen mit der Schulmedizin und Naturheilkunde. Zusammen sollen die
Behandlungen die Krankheit bekŠmpfen und die SelbstheilungskrŠfte des Patienten
mobilisieren.
Das Therapiekonzept stammt aus den USA: Dort fšrderten die Nationalen
Gesundheitsinstitute 2002 die naturheilkundliche und alternativmedizinische
Forschung im National Center for Complementary and Alternative Medicine mit 105
Millionen Dollar. SchŠtzungsweise 300 US-Kliniken und Praxen bieten
Mind/Body-Medicine oder Integrative Medicine an, allerdings auf
unterschiedlichem Niveau.
Einer der GrŸndungsvŠter ist
Herbert Benson von der Harvard Medical School.
ãEin Stuhl auf drei Beinen
steht sicherer als auf zwei BeinenÒ, erlŠutert Kardiologe Benson das Prinzip:
ãDas eine Bein sind Medikamente, das zweite die Chirurgie, aber das dritte Bein
Ð und das vergessen westliche Mediziner meist Ð ist die Selbsthilfe des
Patienten.Ò Das Bild vom dreibeinigen Stuhl soll vor allem Kritiker Ÿberzeugen.
DIE NEUE INTEGRATIVE
MEDIZIN: GESUNDHEIT F†R LEIB UND SEELE
Die Therapie kombiniert Schulmedizin mit unterstŸtzenden Ma§nahmen die
den Heilungsprozess beschleunigen sollen. Dazu gehšren Bewegung,
ErnŠhrungsumstellung, Anti-Stress-Training, Entspannung, Naturheilkunde oder
die Traditionelle Chinesische Medizin. Therapeut und Patient arbeiten zusammen.
- In einem kognitiven Training
lernen Patienten, stressauslšsende
Faktoren zu erkennen und neu zu bewerten
- Die Verhaltenstherapie
ist eine Art Neustrukturierung von
Wahrnehmung und Denken.
- Ausdauertraining
beim Walking oder auf dem Fahrrad
bauen Stress ab und erhšhen die Fitness.
- Kšrperwahrnehmungsschulungen
und Qi Gong, die chinesische
Bewegungstherapie, entspannen.
- Gymnastik
erhšht die Beweglichkeit und fšrdert
ein positives KšrpergefŸhl
- Der Glaube, dass ein Mittel wirkt,
ist eine starke Kraft und macht bis
zu 30 Prozent der Wirkung aus.
- Neue Forschungen sollen jetzt
klŠren, wie der Placebo-Effekt
therapeutisch zu nutzen ist.
- Experten suchen nach
Medikamenten, die das Immunsystem
gŸnstig beeinflussen.
- Klassische
Naturheilverfahren:
z.B. KrŠuter, Blutegel
- Traditionelle
Chinesische Medizin mit Akupunktur, Akupressur, Tuina-Massage und Tai Chi
der integrativen Medizin
steht die schulmedizinische Therapie nach neuesten Erkenntnissen.
Koronare Herzkrankheiten und Bluthochdruck werden durch die
Psyche entscheidend beeinflusst.
Chronische RŸckenschmerzen und MigrŠne reagieren gut auf
verschiedene Entspannungstechniken.
Stress fšrdert Neurodermitis und Psoriasis. Ein gestšrtes
Immunsystem ist Mitverursacher.
EntzŸndliche
Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, aber auch Diabetes, verschlimmern sich bei
Belastungen.
Patienten versuchen durch
unterstŸtzende Ma§nahmen, Nebenwirkungen von Medikamenten zu mindern.
Chronische entzŸndliche
Erkrankungen sprechen auf Naturheilverfahren und Stressreduktion an.
- Meditationstechniken,
autogenes Training oder Visualisierung fŸhren zu innerer Ruhe.
- Yoga, Atemtechnik
und Progressive Muskelentspannung
helfen beim Entspannen
Sebastian Kneipp sagte: ãOft
kšnnte ich Kranken erst helfen, als ich Ordnung in ihre Seele brachte.Ò
- Ziel der Ordnungstherapie ist es,
Patienten einen
gesundheitsfšrdernden Lebensstil nahe zu bringen und im Alltag umzusetzen.
- In GruppenŸbungen
werden die Lebensziele neu
definiert, man lernt, auch mal nein zu sagen, und Ÿbt das Konzept der
Achtsamkeit mit sich selbst.
Richtige
ErnŠhrung
- Die mediterrane Vollwertkost
gilt als Baustein gesunder ErnŠhrung.
- †bungen mit Einkaufslisten
und Kochkursen
- Spezielle DiŠtplŠne fŸr
Herz- und Blutdruckpatienten sowie
Rheumakranke. ErnŠhrungsempfehlungen fŸr Krebspatienten lindern Beschwerden.
- Physikalische
Therapien wie kneippsche GŸsse,
Wassertreten und Muskelaufbautraining
- Diverse Massagen,
auch Reflexzonenmassage,
Lymphdrainage und Inhalation
Positive
GefŸhle
- Einige Kliniken,
vor allem in den USA, setzen auf
Humor, Lachen, Tanz, Musik und Malen.
- Das SelbstwertgefŸhl
und die emotionale Grundstimmung
sollen gestŠrkt werden.
DIE
KRANKHEITEN
Chronische EntzŸndungen und Autoimmunerkrankungen wie Rheuma und einige
Darmerkrankungen lassen sich durch Medikamente und zusŠtzliche
Mind-Body-Therapien oft besser lindern. Ebenso alle Erkrankungen, bei denen
Stress die Symptome verstŠrken kšnnen. Dies gilt fŸr die Hautkrankheiten, das
Reizdarmsyndrom, Asthma, chronische Schmerzen und MigrŠne sowie
Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Mit unterschiedlichsten
Methoden versuchen Therapeuten, schŠdliche
Stressfaktoren auszuschalten und durch eine gesunde Entspannung die
SelbstheilungskrŠfte zu aktivieren. Ob Meditation, Sport, Massagen oder
Vollwertkost zum Einsatz kommen, ist je nach Klinik und Patient verschieden. In
einem mentalen Training lernen Patienten meist, Stress zu bewŠltigen und
auslšsende Faktoren, wie €rger im Alltag, neu zu bewerten.
Markus S., 30
Der RheinlŠnder mit
chronischer DarmentzŸndung lernte, sich selbst zu helfen.
- Ohne Cortison
Durch eine Umstellung der ErnŠhrung
hat er abgenommen und kommt heute mit wenigen Naturheilmitteln zurecht.
- Psycho-Hygiene
ãIch vermeide Aufregung, lasse alles ruhiger angehen und baue die Entspannung
in den Tagesablauf ein.Ò
Die dreifache Mutter mit
Brustkrebs wollte selbst zu Ihrer Genesung beitragen.
- Sie begann neben der Standardtherapie
- Operation, Chemo, Bestrahlung Ð
ãeigene Energiequellen einzusetzenÒ: positive Bilder, Meditation, Sport, mehr
Achtsamkeit.
- Ihre BŸcher Ÿber Schicksal und Heilung,
z. B.: ã ... und flŸstere mir vom Leben. Wie ich den Krebs ŸberwandÒ, Ullstein,
2001
Akupunktur oder
Antibiotikum? Kein Ersatz soll die
Leib-Seele-Medizin sein, sondern eine sinnvolle ErgŠnzung, unterstŸtzende
Ma§nahmen fŸr die Genesung, die der Patient allerdings vor allem selbst
erbringt. ãWir geben als Arzt und Therapeut unter anderem eine Hilfe zur
SelbsthilfeÒ, beschreibt Dobos sein SelbstverstŠndnis.
ãIch war bei mehreren
€rzten, aber mein GespŸr sagt mir, dass ich allein mit Cortison meine Krankheit
nicht in den Griff bekommen wŸrdeÒ, erzŠhlt Markus S., der an einer chronischen
entzŸndlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) leidet. Er konnte am Ende,
geschwŠcht von Durchfallattacken, nicht einmal mehr mit dem Auto zur Arbeit
fahren. Zwei Wochen blieb er stationŠr in der Essener Klinik und wechselte dann
in die Tagesklinikgruppe. ãIch achte heute anders auf meine ErnŠhrung, habe
viel abgenommen, vermeide Aufregung, lasse alles ruhiger angehen und versuche,
Entspannung in meinen Tagesablauf einzubauenÒ, berichtet Markus S. von seinen
Erfahrungen, ãund heute komme ich eigentlich gut allein mit Naturheilmitteln
zurechtÒ.
Therapien gegen Stress. In Deutschland bieten bereits einige €rzte und
Kliniken ausgewŠhlte Elemente der neuen Therapierichtung an: So setzt die
Fachklinik Borkum auf eine psychologische Psoriasis-Schulung fŸr Patienten mit
Schuppenflechte, die Klinik am Germanswald in Villingen hat die Integrative
Therapie fŸr Tumor- und Schmerzpatienten im Programm, die Fachklinik fŸr
medizinisches Stress-Management in Lindau betreut FŸhrungskrŠfte, und in
MŸnchen stehen Krebspatienten seit drei Jahren zwšlf TagesklinikplŠtze im
Zentrum fŸr naturheilkundliche Forschung (ZNF) der Technischen UniversitŠt zur
VerfŸgung.
ãBei uns lernt der Kranke,
sich kšrperlich wohler zu fŸhlen und mental neu zu orientierenÒ, beschreibt
ZNF-Leiter Dieter Melchart den Sinn der Mind-Body-Ma§nahme. Die Warteliste ist
allerdings lang. ãDie Krebskranken wollen nach der OP und Chemo etwas fŸr sich
tun, aber in der Onkologie sind sie meist zur PassivitŠt verurteiltÒ, wei§
Melchart.
Wie die EntzŸndung im Gelenk
die Kšrperchemie stšrt, belegen Studien der Uni Regensburg.
- EntzŸndungsstoffe fŸhren zu einer geringeren AusschŸttung von Cortisol
und Testosteron. Zudem verkŸmmern bestimmte Zellen des vegetativen
Nervensystems. Dies fšrdert die rheumatoide Arthritis Ð vor allem bei Stress.
- Konsequenzen fŸr die Behandlung: Stressmanagement kann die EntzŸndung bremsen und
wohl dosierter Sport das vegetative Nervensystem stabilisieren. Neue
Rheumamittel sollen die Regulationsstšrung mildern.
Gesunde Gedanken. Zentrales Element der Mind-Body-Medizin ist die
Entspannungsreaktion, der so genannte ãRelaxtion ResponseÒ. Das ist das
Gegenteil der Stressreaktion, die jeder kšrperlich sofort spŸrt: Das Herz rast,
die HŠnde werden schwei§nass, NervositŠt macht sich breit. Die kontemplative
Ruhe dagegen ist kšrperlich kaum wahrnehmbar, ãdeshalb muss man sie lernen und
ŸbenÒ, warnt Dobos.
ãMan erreicht den heilsamen
Entspannungszustand nicht, wenn man vor dem Fernseher sitzt und nichts tutÒ,
klŠrt Benson auf, ã es muss eine repetitive TŠtigkeit sein, ein sich immer
wiederholender Vorgang.Ò Die Wege zur mentalen Fokussierung und physiologischen
Entspannung sind vielfŠltig und individuell unterschiedlich: Yoga, Meditation,
Atemtechniken, Progressive Muskelentspannung, Visualisierungen sowie Sport und
Joggen (www.focus.de/entspannungstechniken).
ãSuchen Sie ein Wort, ein
Bild oder ein Gebet, an das Sie glauben. Setzen Sie sich in bequemer Haltung in
einen ruhigen Raum, entspannen Sie einzelne Muskeln. Atmen Sie bewusst und
langsam, konzentrieren Sie sich auf die Wiederholung Ihres Wortes oder BildesÒ,
rŠt Benson. Ein- bis zweimal pro Tag solle man fŸr zehn bis 30 Minuten die
†bung durchfŸhren.
Es wird vermehrt Serotonin
gebildet, ein Gute-Laune-Botenstoff. Mehr Alpha- und Theta-Wellen sind im EEG
sichtbar, ein Indikator fŸr Ruhe. Weniger Angst, Depression und AggressivitŠt,
besserer Schlaf, verŠnderte Schmerzwahrnehmung.
Verringerte Atemfrequenz und
erhšhtes Atemvolumen. Der Kšrper bekommt mehr Sauerstoff. Der
Sauerstoffverbrauch der Organe sinkt etwa um zehn bis 17 Prozent innerhalb der
ersten drei Minuten.
Blutdruck sinkt,
Herzfrequenz wird langsamer. ZusŠtzlich kšnnte das aktivere Immunsystem der
Arteriosklerose in BlutgefŠ§en entgegenwirken.
Gestšrte Darmfunktionen
werden durch das vegetative Nervensystem harmonisiert, Effekte auf Durchfall,
Verstopfung und Magenreizungen
Die entspanntere
Blasenmuskulatur bessert oft Stressinkontinenz bei Frauen.
Anspannung verringert sich,
verhŠrtete Muskeln lockern sich, Schmerzreduktion bei chronischen RŸcken- und Nackenschmerzen.
Weniger Stresshormone wie
Cortisol und Adrenalin werden freigesetzt.
Funktionen der Zellen Ð wie
Fress- und Killerzellen Ð Šndern sich, ebenso wie die AusschŸttungsmuster der
Immunbotenstoffe. Das Immunsystem ist aktiver.
Der Hypothalamus steuert das
vegetative Nervensystem (Blutdruck, Atmung, Darm) und die Hypophyse, die mit
Botenstoffen sowie Hormonen Kšrper und Psyche reguliert.
Produktion der
Geschlechtshormone normalisiert sich. Unter Stress hŠufig Stšrungen und
verringert HormonaktivitŠt. Positiver Einfluss bei unerfŸlltem Kinderwunsch.
Immunzellen und
normalisierte Hormonproduktion wirken positiv. Hauterkrankungen wie
Neurodermitis, aber vor allem Schuppenflechte, bessern sich in Verbindung mit
konventioneller Therapie schneller.
†ber das Blut beeinflussen
viele Signalstoffe die Stress- und Sexualhormonproduktion sowie Stimmung und
VitalitŠt.
Nervenfasern schŸtten als
Reaktion Botenstoffe aus (z. B. Noradrenalin), die auf Organe, GefŠ§e und
Immunzellen wirken.
Hausputz fŸr die Seele. In der Mind-Body-Medizin ist dieses kontemplative
Training in GruppengesprŠche eingebettet, die die Experten als Ordnungstherapie
bezeichnen. Was nach preu§ischem Reglement klingt, ist eine mentale Diskussion
mit sich selbst. ãMind-chatteringÒ nennt das die GesundheitspŠdagogin Anna Paul
von der Essener Naturheilkundeklinik. ãWenn jemand ernsthaft krank wird, ist
seine bisherige Lebensordnung zerstšrt, sie funktioniert nicht mehrÒ, erklŠrt
Paul. Dann beginnt die Suche nach neuen Inhalten und Wegen. Mit den
Ordnungstherapeuten erarbeiten sie gemeinsam konkrete PlŠne fŸr die Gestaltung
des Alltags, finden den Einklang mit Arbeit, Familie, Freunden und der
Krankheit und Ÿben die Achtsamkeit gegenŸber sich selbst. ãEndlich nehme ich
mir mal Zeit fŸr michÒ, berichtet eine Krebspatientin in der Gruppensitzung.
ãLernen, auf den Wellen des
Lebens zu reitenÒ, ist fŸr Chefarzt Dobos das Ziel. Oder, wie es einmal ein
Patient ausdrŸckte: ãDas ist eine Therapie fŸr eine dickere Haut.Ò
Viele Studien belegen
mittlerweile den Sinn der MŸhen:
Meditierender
BaggerfŸhrer. ãWir verlangen in der
Mind-Body-Medizin viel Eigeninitiative und Engagement von den KrankenÒ, wei§
Klinikchef Dobos. Der Lernprozess und der neue Lebensstil falle nicht jedem
leicht. ãEs ist ebenso aufwŠndig wie das Erlernen einer neuen Sprache.Ò Er
kennt einige ãschwierige FŠlleÒ: ein Metzgermeister, der sich auf mediterrane
Vollwertkost umstellen sollte; ein BaggerfŸhrer, der im FŸhrerhŠuschen eine
meditative Pause einlegt; ein Bergarbeiter, der seit 40 Jahren unter
unertrŠglichen RŸckenschmerzen litt und im Raum der Stille die
Achtsamkeitsmeditation lernen sollte.
Der 54-jŠhrige Manager Hans
Lauber kennt derartige Motivationsprobleme nicht. Der Diabetiker wollte einfach
nicht sein Leben lang auf zuckersenkende Mittel angewiesen sein oder Insulin
spritzen. ãEs muss doch einen anderen Weg geben, den Diabetes zu
kontrollierenÒ, dachte er und entwickelte nach dem Prinzip Versuch und Irrtum
sein persšnliches Gesundheitsprogramm: ãMessen, essen, laufen.Ò Es wei§ genau,
welche Nahrungsmittel und wie viele Kilometer joggen seine Blutwerte wie
beeinflussen. Die anfŠngliche Skepsis seiner €rzte ist mittlerweile in
Zustimmung umgeschlagen. Er hŠlt VortrŠge auf Kongressen und bei Krankenkassen.
ãIch stehe fŸr den Typ des selbstverantwortlichen PatientenÒ, wei§ Lauber.
Bekam seine Zuckerkrankheit
in den Griff Ð mit Joggen und einem ErnŠhrungskonzept.
- Persšnliches Gesundheitsprogramm
Auch die mentale StŠrke ist ihm wichtig: ãWenn ich Hektik habe, gehen die Werte
hoch.Ò
- Seinen Weg aus der Krankheit
beschreibt er in seinem Buch: ãFit wie ein Diabetiker. Messen! Essen! Laufen!,
Kirchheim Verlag, 2002
Leib-Seele-Netzwerk. Wie Leib und Seele miteinander kommunizieren, wie
unser Denken, FŸhlen und Verhalten unsere Immunzellen im Kampf gegen Erreger
und EntzŸndungen beeinflussen, das erforschen seit 25 Jahren weltweit etwa 250
Wissenschaftler auf dem Gebiet der Psychoneuroimmunologie (PNI). Ihre
Forschungsergebnisse Ÿber Nervensystem, Hormone und Immunsystem bilden die
Basis der Mind-Body-Medizin.
Tausende Studien
renommierter Forschungsinstitute haben an gesunden Versuchspersonen und auch an
Kranken die schŠdlichen Effekte von Stress und Depressionen belegt: Menschen,
deren Ehepartner verstorben ist, haben Ÿber viele Monate ein weniger
funktionstŸchtiges Immunsystem. Studenten im Examen bekommen nach einer Infektion
mit Schnupfenviren vermehrt Krankheitssymptome. Herpesinfektionen und
Neurodermitis werden unter Stress aktiviert. HIV-Kranke, die optimistisch in
die Zukunft blicken, leben lŠnger als Aids-Betroffene, die pessimistisch sind.
PNI-Forscher konnten im
Labor zahlreiche molekulare Kommunikationswege zwischen Gehirn, DrŸsen und
Immunzellen entschlŸsseln. In mŸhevoller Detailarbeit identifizierten sie
Hirnareale, Nervenfasern, Neuropeptide, Immunbotenstoffe und Hormone im
biochemischen Gesundheitsnetzwerk von Leib und Seele.
HEILKRAFT DER MEDITATION
Meditative Entspannung Šndert Gehirnfunktionen und wirkt positiv auf das Immunsystem Ð dies belegen neue Studien aus den USA.
Was lange als esoterische
BeschŠftigung Liebhaber šstlicher Philosophien galt, ist zumindest in den USA
eine Art mentaler Trendsport: Millionen Amerikaner meditieren regelmŠ§ig, um
Stress abzubauen, als WohlfŸhl-Kick und fŸr die Gesundheit.
Forscher entschlŸsseln jetzt die Effekte der Entspannungstechnik. Der
Psychologe und Psychiater Richard Davidson von der University of Wisconsin
untersuchten mit modernsten Verfahren buddhistische Mšnche und entdeckte
eigentŸmliche GehirnaktivitŠten im Elektroenzephalogramm (EEG): Der linke
prŠfrontale Cortex, ein kleiner Teil der Hirnrinde direkt hinter der Stirn, war
deutlich aktiver als bei nicht meditierenden Versuchspersonen, unabhŠngig
davon, ob sie sich wŠhrend der Untersuchung in tiefer Entspannung befanden oder
nicht.
Genau dieser
Frontallappen der linken HirnhŠlfte
steht in Zusammenhang mit positiven GefŸhlen, mehr Enthusiasmus und guter
Laune, wŠhrend ein aktiver rechter prŠfrontaler Cortex mit negativen Emotionen
und €ngsten einhergeht. Davidson vermutet eine langfristige Umprogrammierung
bestimmter Hirnzellen, da die Effekte auch ohne aktive MeditationsŸbung zu
sehen sind. Davidson durfte selbst dem Dalai Lama im Mai 2001 den PET-Scanner
und den Magnetresonanztomographen vorfŸhren, mit denen er jetzt das
meditierende Gehirn weiter erforschen will.
Seine neueste Erkenntnis: 25 Arbeiter aus der UniversitŠtsstadt Madison im
Bundesstaat Wisconsin durften unter Anleitung des anerkannten
Meditationsexperten Jon Kabat-Zinn Ÿber einige Wochen die Entspannungstechnik
erlernen (zusŠtzlich meditieren sie pro Tag eine Stunde zu Hause) und erhielten
danach eine Grippe-Impfung ebenso wie die Kontrollgruppe.
Die Meditierer hatten nicht nur eine um 50 Prozent erhšhte
elektrische AktivitŠt in einem bestimmten Hirnareal, sondern auch eine fŸnf bis
25 Prozent hšhere Zahl von Antikšrpern im Blut, so das Ergebnis: Die Impfung
schlug bei ihnen besser an und wirkte effektiver. ãUnsere Ergebnisse zeigen,
dass selbst ein kurzes Meditationsprogramm nachweisbare Effekte auf Gehirn und
Immunsystem hatÒ, erklŠrte Davidson.
INTERVIEW
ARZT
ALS ZUH…RER
Der Vorsitzende der AOK
Rheinland, Wilfried Jacobs, fordert eine bessere Koordination von Schulmedizin
und begleitenden psychosozialen Ma§nahmen.
FOCUS: Warum unterstŸtzt die AOK Rheinland integrative
Medizin als umfassende Therapie bei chronisch Kranken?
Jacobs: Chronisch Kranke haben oftmals eine wahren Odyssee
im Medizinbetrieb hinter sich. Sie werden von Spezialist zu Spezialist
geschickt. Was zu kurz kommt, ist das Zusammenspiel der somatischen und
psychosozialen Probleme. Das Denken nur in den Grenzen des eigenen Fachgebiets
reicht nicht aus.
FOCUS: Was brauchen denn Patienten?
Jacobs: Komplizierte KrankheitsverlŠufe brauchen im
wahrsten Wortsinn einen Lotsen. Der durch den Medizinbetrieb irrende Patient
leidet einmal unter der Krankheit und zusŠtzlich unter dem nicht ausreichend
verzahnten Medizinbetrieb. Die psychosoziale Problematik einer
Brustkrebspatientin wird hšchstens am Rande angegriffen. Vernetztes Denken der
€rzte ist notwendiger denn je.
FOCUS: Mediziner und Krankenkasse kritisieren oft, dass
gro§e Studien fehlen, die den Nutzen der Ma§nahme belegen.
Jacobs: ErgŠnzende Therapien mŸssen sich prinzipiell den
gleichen Ma§stŠben fŸr die Beurteilung ihrer Sinnhaftigkeit stellen wie die
klassische Schulmedizin. Es sollte aber mehr Studien geben, die das
Zusammenspiel der beiden Richtungen zum Gegenstand haben.
FOCUS: Wie sehen Sie die Zukunft?
Jacobs: Patienten wollen noch stŠrker mitwirken am
Heilungsprozess. Sie brauchen den Arzt als Zuhšrer, der auch da ist, wenn die
€ngste kommen. Nicht von ungefŠhr werden medizinische Beratungsdienste der
Krankenkassen gern in Anspruch genommen. Die Medizin braucht, was den Patienten
betrifft, wieder mehr spŸrbare Zuwendung.
Wilfried Jacobs initiierte
ein telefonisches Beratungs-Center fŸr Patienten. Dort gehen pro Woche bis zu
3000 Anrufe ein (Tel.-Nr. 0800/0326326)
Die Biochemie der
Entspannung. Allerdings hinkt die
Wissenschaft von der heilenden Ruhe der Stressforschung um Jahre hinterher.
Forscher gehen heute davon aus, dass durch die Entspannungsreaktion Gehirnzellen
Ÿber die oberste Hormonschaltzentrale des Gehirns, den Hypothalamus,
Signalstoffe ins Blut und zum vegetativen Nervensystem senden und Organe sowie
Zeilen positiv beeinflussen.
Einige erste Beweise fŸr die
biochemische Umstimulierung liegen vor: Forscher der UniversitŠt in Rom konnten
im vergangenen Jahr bei einem 58-jŠhrigen Mann, der seit 30 Jahren Yoga
praktiziert, belegen, dass nach einer kšrperlichen Anstrengung (er trainierte
zwei Minuten auf einem Stepp-GerŠt) sich Herzschlag, Blutdruck und AusschŸttung
des Stresshormons Cortisol durch eine kurze Yoga-†bung deutlich schneller
normalisierten. Dass ein kurzer achtwšchiger Meditationskurs Funktionen in
bestimmten Hirnarealen anregt und gleichzeitig das Immunsystem zu hšherer
Leistung anspornt, bewies der US-Hirnforscher Richard Davidson erstmals Anfang dieses Jahres.
ãNach den Ergebnissen der
Grundlagenforschung ist die Zeit reif, den Sprung in die therapeutische Praxis
zu wagenÒ, fordert Manfred Schedlowski, Professor fŸr Medizinische Psychologie
an der Uniklinik Essen. Zu reserviert seien bislang jedoch viele Kliniker, um
neue AnsŠtze zu testen, klagt der PNI-Experte. ãEs fehlt vor allem an gro§en
Therapiestudien, um spezifischer beurteilen zu kšnnen, welche Intervention bei
welcher Krankheit am besten hilft.Ò Schedlowski setzt aber auch auf neue
Medikamente, die in das Leib-Seele-Netzwerk eingreifen kšnnten. Diese
ãMind-Body-PillenÒ kšnnten den Reigen der Ma§nahme komplettieren.
Einen Ausblick auf die
Zukunft der pharmakologischen Leib-Seele-Medizin geben Forschungen in
Regensburg, Berlin und Essen:
Viele gro§e KrankenhŠuser
renommierter UniversitŠten bieten die sanfte Medizin neben den
Standardtherapien an.
- Leib-Seele-Klinik in Boston
Das bekannteste Mind-Body-Institut leitet der Havard-Professor Herbert Benson
am Beth Israel Deaconess Medical Center. Etwa 8000 Patienten mit
unterschiedlichsten Krankheiten werden hier pro Jahr behandelt. Viele
US-Kliniken haben sein Programm Ÿbernommen (www.mbmi.org).
- Herz- und Prostata-Erkrankungen
US-Herzspezialist Dean Ornish betreibt das Preventive Medicine Research
Institut in Sausalito und entwickelte Programme fŸr Herz- und seit neuestem
auch Prostata-Kranke (www.pmri.org).
- Krebsklinik in New York
Seit 1999 leitet die Psychologin und €rztin Barrie Cassileth den neu
gegrŸndeten integrativ Medicine Service am Memorial Sloan-Kettering Cancer
Center. Kunst- und Musiktherapie, Akupunktur, Hypnose, Massage, Meditation,
KrŠuter und NahrungsergŠnzungsmittel sollen €ngste, Schmerzen und den
Krankheitsverlauf bremsen. Cassileth initiiert auch wissenschaftliche Studien, z.
B. Musiktherapie bei Patienten mit Blutkrebs wŠhrend einer
Hochdosis-Chemotherapie (www.mskcc.org/mskcc/html/1979.cfm)
- Krebs und Schmerzen
Der Psychiater David Spiegel grŸndete 1998 das Center for Medical Integrative
Medicine am Standford Medical Center fŸr Krebs- und Schmerzpatienten sowie fŸr
ungewollt kinderlose Paare. Sport, ErnŠhrung, Hypnose, Biofeedback, Akupunktur,
Meditation und Yoga werden angeboten (www.stanfordhospital.com/clinicsmedServices/clinics/complementaryMedicine/).